Schilder für Kinder
Franziska Kuhlee und Jannis Androutsopoulos
Nicht nur die linguistische Forschung, sondern auch gesellschaftliche Akteure beschäftigen sich mit öffentlicher Sprache auf Beschilderungen jeglicher Art. Jüngst sind wir von LinguaSnappHamburg auf den Hamburger Verband freier Kita-Träger „Kindermitte“ aufmerksam geworden. Im Blog des Verbandes werden unter der Überschrift „Spielen im Hof verboten – Kinder erobern die Stadt zurück“ Schilder gesammelt, die sich an spielende Kinder richten. Die Verfasserin Sarah Stüber stellt fest, dass es „immer weniger Oasen in der Stadt [gäbe], in denen Kinder sich etwas geschützter bewegen und spielen können“. Dies belegt sie an zahlreichen Schildern zurück, die es Kindern verbieten, sich frei an bestimmten Orten zu bewegen oder zu spielen. Damit verbunden ist das Selbstbild des Vereins „Kindermitte“, der in Zusammenarbeit verschiedener gesellschaftlicher Akteure eine kinderfreundlichere Gesellschaft schaffen will. Ein Schritt in diese Richtung könnte gelingen, indem Kinder im öffentlichen Raum weniger mit Verboten konfrontiert, sondern ihnen bewusst Plätze zum Spielen und Austoben geschaffen werden. Diese Räume sollten durch Schilder geschützt werden, die Erwachsene aufrufen, mehr Rücksicht zu nehmen. Konkret fordert Sarah Stüber, „dass sich Kinder unsere Stadt zurück erobern“ sollten, und ruft zum Mitmachen auf: Fotos von Verbotsschildern können direkt an den Verband geschickt werden. alternativ wird Jede/r von uns auch mal tätig und kommt mit Eigentümern von Plätzen mit Verbotsschildern ins Gespräch.
Eine schöne und inspirierende Initiative, woran aus linguistischer Perspektive verschiedene Fragen anschließen können: Wie nehmen Kinder ihre semiotische Umwelt wahr? Welchen Blick haben sie auf verschiedene Schilder, und wie sind diese Schilder gestaltet? Eins scheint klar zu sein: Kinder haben allein aufgrund ihrer Größe einen anderen Zugang zur öffentlichen Schriftlichkeit. Aber nicht nur die Körpergröße hat, so kann vermutet werden, einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Umwelt durch Kinder. Auch die visuelle Gestaltung kann Kinder gezielt ansprechen oder aber ausschließen. Somit kann allein aufgrund der Platzierung und multimodalen Gestaltung von Schildern auf die intendierten Adressaten geschlossen werden.
Ein Blick in unsere Datenbank zeigt, dass vor allem im Freizeitbereich Kinder direkt adressiert werden: So weisen Verbotsschilder an Wohnhäusern darauf hin, dass dort Fußball spielen verboten sei (Bild 1) oder auf Spielplätzen Fußballspielen, Radfahren und das Mitführen von Hunden nicht gestattet sei (Bild 2). Häufig sind diese Schilder multimodal durch Bilder ergänzt, die Kindern ohne Lesefähigkeiten verdeutlichen, dass bestimmte Handlungen auf dem Spielplatz nicht gestattet sind (Bild 3). Aktuell sind überdies erweiterte Hinweise auf Spielplätzen zu finden, die Corona-Schutzmaßnahmen erläutern (Bild 4 und 5). Interessant erscheint hier die direkte Anrede der Eltern und Kinder, wohingegen bei den üblichen Verboten zumeist nur Heranwachsende angesprochen werden. Diese gezielte Orientierung an Kindern zeigt sich etwa an der graphischen Darstellung der Figuren auf den Schildern und dem hohen Anteil an Bildern. Im Kontrast zu diesen regulativen Schildern sind jedoch auch Schilder auffindbar, die Erwachsene sensibilisieren sollen, Rücksicht auf spielende Kinder zu nehmen. Diese Schilder sind häufig in knalligen Farben gestaltet und mit der Exklamation „Vorsicht!“ oder einer Aufforderung wie etwa „Bitte Langsam fahren!“ versehen (Bild 6 und 7).
Insgesamt können die betrachteten Schilder somit in zwei Kategorien gegliedert werden. Einerseits regulative Schilder, die den Freiraum von spielenden Kindern in der Öffentlichkeit aus diversen Gründen einschränken. Andererseits regulative Schilder, die gezielt Erwachsene sensibilisieren sollen, Rücksicht auf spielende Kinder zu nehmen und ihnen somit Freiräume zum Spielen und Toben zu schaffen. Je höher der Anteil an Bildern und bildlichen Symbolen auf den Schildern, desto eher scheinen sie an jüngere Rezipienten, die noch nicht schriftkundig sind, gerichtet. Diese Gestaltungsmittel gehen mit bunten Farben und kindlich anmutenden Bildern einher. Im Hinblick auf die Platzierung ist etwa Beispiel 5 interessant – ein Schild, das durch private Akteure in einen Blumenkasten auf der Straße gestellt wurde. Das Schild, das gezielt Autofahrer aufruft, mehr Achtsamkeit walten zu lassen, ist auf Augenhöhe der Fahrenden platziert. Auch die räumliche Aufstellung von Schildern schränkt also ihren beabsichtigen Adressatenkreis ein.
Letztendlich ist es eine gesellschaftspolitische Frage, ob öffentliche Räume für Groß und Klein zugänglich sein sollen. Darin eingebettet ist die semiotisch und linguistisch relevante Frage, wie Zugang und/oder Ausschluss in der Öffentlichkeit kommuniziert werden sollen. Aus unserer Sicht sollte auf eine ausgewogene Verteilung des öffentliches Raumes geachtet werden, um ein gemeinsames Miteinander unterschiedlicher Akteure in Einklang zu bringen. Eine durchdachte öffentliche Beschilderung kann genau dies in Form und Inhalt effizient zum Ausdruck bringen.
Auch Ihnen sind nun interessante Beispiele eingefallen? Teilen Sie Ihre Impressionen gerne mit uns. Dafür können Sie ganz einfach unsere App downloaden und Ihren Schnappschuss in die Datenbank hochladen. Ausgewählte Beispiele werden nach und nach hier integriert.