Was sind Schoolscapes?
Wenn wir über Schoolscapes oder Schulische Sprachlandschaften sprechen, meinen wir damit all jene ortsfeste Texte, die in schulischen Räumen zu finden sind – vom Schulschild mit dem Namen der Schule an der Fassade, über den Vertretungsplan, wegweisende Türschilder oder Kunstwerke in den Fluren, gebastelten oder ausgedruckten Stundenplänen, Klassenregeln und Schülerplakaten bis hin zu Kritzeleien auf den Schülertoiletten. All diese Texte werden von den Mitgliedern der Schulgemeinschaft unter Zuhilfenahme vielfältiger sprachlicher und gestalterischer Mittel konzipiert und in die Räume integriert. Stets wird dabei eine bestimmte kommunikative Zielsetzung verfolgt. Jeder Text im Schulraum ist mehr oder weniger offensichtlich Bestandteil oder Produkt von Lehr- und Lernprozessen oder trägt zur Kommunikation zwischen verschiedenen Akteursgruppen bei.
Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen:
Klassenregeln oder Klassenverträge sind häufig in den Klassenzimmern der Klassenstufen 5-7 zu finden. Als Textsorte beinhalten sie (häufig im Klassenverbund erarbeitete) Verhaltensregeln, die dazu beitragen, das Leben und Lernen in der Klassengemeinschaft zu ordnen. Lehrkräfte verfolgen mit der Anfertigung der Regeln das Ziel, einen für die Klassengemeinschaft geltenden Werte- und Normenkanon zu etablieren. Dieser soll die Lehr- und Lernprozesse positiv zu beeinflussen. Durch das gemeinsame Erarbeiten bzw. Besprechen der Regeln und das teilweise praktizierte Unterschreiben von allen Mitgliedern der Klasse erhält diese Textsorte einen vertragsähnlichen Charakter. Daraus erspringt eine besondere Bindungskraft.
Klassenregeln mit Unterschriften der Klassengemeinschaft
Kritzeleien auf Schultoiletten sind nicht unmittelbar mit der Bildungsarbeit in der Schule verknüpft, sind jedoch für die Schüler:innen ein probates Mittel der Meinungsäußerung unter Gleichaltrigen. Auf den Schultoiletten sind mancherorts kleine Gespräche zwischen den Nutzer:innen der Toiletten zu finden. Häufig wird sich dort über Idole, aktuelle Gemütslagen oder auch Interessen mittels Kritzeleien an den Wänden der Toilettenkabinen ausgetauscht. Man könnte solch transgressive Zeichen als Schmierereien abtun, man kann sie jedoch auch auf ihren Inhalt hin untersuchen und sich fragen: Was bewegt die Schüler:innen? Warum nutzen sie diese Flächen innerhalb der schulischen Sprachlandschaft, um ihre Meinungen zu äußern oder um sich auszutauschen?
Kritzelei auf der Schultoilette: Umfrage "Jungs sind scheiße. Wer noch so denkt 1. Strich" mit Strichliste als Antwort
Diese Beispiele zeigen, dass die Sprachlandschaften von Schulen aktiv durch die Schulgemeinschaft gestaltet werden. Das Schulgebäude mit seinen Räumlichkeiten ist, wenn man so will, ein weißes Blatt Papier, welches erst durch die Schüler:innen, die Lehrkräfte, die Schulleitung, das Schulpersonal und die Eltern Aussage- und Strahlkraft erhält. Die Räume der Schule werden sich durch all jene Akteur:innen zu eigen gemacht, sie werden beständig neu gestaltet, wobei es zu Aushandlungsprozessen zwischen einzelnen Akteursgruppen kommen kann: Was verkörpern wir als Schulgemeinschaft und wie wollen wird dies in den Räumen der Schule darstellen? Wie können wir Flächen für die Unterstützung von Lernprozessen einsetzen? Wie können wir eine Wertschätzung gegenüber den Schüler:innen durch Zuhilfenahme des Raumes gewährleisten? Und wer darf an welcher Stelle der Sprachlandschaft eingreifen, um sie nach ihren oder seinen Vorstellungen zu gestalten?
Schoolscapes beinhalten somit jegliche Texte der verschiedenen schulischen Räume und sind gleichsam Spiegel der Wertegemeinschaft einer Schule, Unterstützer und Dokument von Lehr- und Lernprozessen und bieten Raum für die Kommunikation unter Gleichaltrigen. Aufgrund dieser Vielfalt an Funktionen und Textsorten lohnt es sich, die Sprachlandschaften von Schulen genauer zu erkunden, um einen neuen Blick auf die Institution Schule zu erhalten – fernab von Noten. Genau das verfolgen wir innerhalb unserer Hamburger Schoolscape-Forschung. In einer Pilotstudie und einem Drittmittelprojekt wird der Fokus auf die Ausgestaltung und Wahrnehmung der schulischen Sprachlandschaft vor dem Hintergrund differiender sozialer Ausgangslagen von Schulen gelegt. Die Gestaltung der schulischen Sprachlandschaft wird nicht zuletzt durch Kontextbedingungen beeinflusst, deren genaue Strahlkraft auf die Ausgestaltung sprachlicher Räume untersucht werden soll.