Projekt: Sprachlandschaft und soziale Lage
„Und es ist mir tatsächlich auch wichtig, dass die Schüler:innen auch ihre Schrift hier hängen sehen“ - so eine Lehrkraft an einer Hamburger Stadtteilschule. Die Lehrkraft bezieht sich in ihrer Aussage auf visuelle Sprache, die von von Schüler:innen auf Wände, Möbelstücke, Tafeln unterschiedlichster Materialien in die Räume der Schule integriert wird. Aber auch Lehrkräfte und anderes Schulpersonal gestalten die Sprachlandschaft einer Schule mithilfe vielfältiger sprachlicher und künstlerischer Gestaltungsmittel.
Diese Sprachlandschaften (‚Schoolscapes‘) von Bildungseinrichtungen und die mit ihr zusammenhängenden Wahrnehmungen und Bewertungen beteiligter Akteur:innen stehen im Mittelpunkt des DFG-Projekts „Sprachlandschaft und soziale Lage in weiterführenden Schulen“. Anschließend an die bereits durchgeführte Pilotstudie macht es sich dieses Projekt zum Ziel, sowohl die deutschsprachige Schoolscape-Forschung weiterzuentwickeln als auch Zusammenhänge zwischen der Diversität der schulischen Sprachlandschaften vor dem Hintergrund differierender sozialer Hintergründe der Bildungseinrichtungen herauszuarbeiten.
Konkret findet die Forschung an vier weiterführenden Hamburger Schulen statt, die sich (a) in der Schulform (Stadtteilschulen und Gymnasien) und (b) den sozialen Rahmenbedingungen (‚schwierige‘ bzw. ‚privilegierte‘ Verhältnisse) auf der Basis der den Schulen zugewiesenen KESS-Faktoren unterscheiden. Es werden vier Zielsetzungen verfolgt:
1. Schildrepertoires in der schulischen Sprachlandschaft
Die raumgebundene Schriftlichkeit von Schulen soll umfangreich dokumentiert, analysiert und anhand von Leitfragen ausgwertet werden, z. B.:
- Welchen Diskurstypen und Textsorten sind Schilder in verschiedenen Räumlichkeiten der Schule zuzuordnen?
- Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede weisen Schildrepertoires je nach der Schulform und den sozialen Rahmenbedingungen der Schulen auf?
2. Didaktische Textsorten in der schulischen Sprachlandschaft
Didaktische Textsorten (z. B. Schülerplakate und Lernplakate) als Teilklasse des gesamten Schildrepertoires werden hinsichtlich ihrer Produktionsprozesse, sprachlich-multimodalen Strukturen sowie der Einbindung in den Unterrichtsalltag untersucht. Folgende exemplarische Leitfragen werden verfolgt:
- Wie sind didaktische Schilder sprachlich und multimodal strukturiert?
- Wie sind sie in kollaborative Arbeitsprozesse eingebunden?
- Wie unterscheidet sich ihre Gestaltung nach der sozialen Lage der Schule?
3. Wahrnehmung der Sprachlandschaft und der sozialen Lage aus Sicht der Schulgemeinschaft
Hier stehen Lehrkräfte und Schüler:innen als zentrale Gestalter:innen der schulischen Sprachlandschaft im Mittelpunkt. Untersucht werden ihre Reflexionen über Zusammenhänge zwischen Schoolscape und sozialer Lage sowie über die Nutzung der Schoolscape für die sprachliche Bildung und Sozialisation.
4. Wissenstransfer
Am Ende des Projekts soll das erarbeitete Wissen an Akteur:innen aus dem schulischen Umfeld weitergegeben werden. Hierzu wird das Anfertigen von Materialien und die Durchführung eines Workhops angestrebt.
Die methodische Umsetzung führt zwei Ansätze innovativ zusammen, (a) die linguistische und multimodale Analyse von Schildern und (b) eine diskursanalytisch-ethnografische Untersuchung bei Lehrkräften und Schüler:innen.
(a) Linguistische und multimodale Analyse von Schildern
In einem Rundgang durch alle schulischen Räumlichkeiten (Außenbereich, Flure, Klassenzimmer, Fachräume sowie Sanitäranlagen) werden jegliche kommunikative Zeichen in Form von Schildern, Graffiti, Kritzeleien u. ä. fotografisch dokumentiert und anschließend in einer für das Projekt entworfenen Software mittels ausgewählter linguistischer und multimodaler Analyseparameter annotiert. Zu den Annotationskategorien zählen u. a.: Sprache, Diskurstypen, Textsorte, Materialität, Raum, Design und Produzent:innen.
(b) Diskursanalytisch-ethnografische Untersuchung
Der zweite methodische Pfeiler umfasst drei Elemente: (1) begleitete Raumrundgänge, (2) Experteninterviews sowie (3) Plakatgespräche mit Lehrkräften und Schüler:innen.
(1) Angelehnt an das „guided-tour-Verfahren“ nach Szabó 2015 entscheiden Lehrkräfte und Schüler:innen geleitet durch eine eingangs bekannte Fragestellung, welche Elemente der schulischen Sprachlandschaft sie zeigen und erläutern.
(2) Im Anschluss daran findet ein leitfadengestütztes Experteninterview mit den gleichen Akteur:innen statt, um Produktionspraktiken, Bewertungen und subjektive Haltungen der Teilnehmenden in Bezug auf die jeweilige Schoolscape festzuhalten.
(3) Das dritte Element bilden Plakatgespräche, die an die in der sprachdidaktischen Forschung bekannten „Rechtschreibgespräche“ (Müller 2012) angelehnt sind. Hier stehen die Planung und Produktion von Lehr- und Schülerplakaten sowie die Reflexion der Lehrkräfte und Schüler:innen über diese Textsorten v. a. im Hinblick auf die Einflussgröße des sozialen Kontextes im Mittelpunkt.
Wer bereits neugierig geworden ist, kann sich hier einige Imperessionen aus der materiellen Welt der Schulen ansehen.